30 Dezember 2013

Zwei Gesichter: Tabletten können heilen und krankmachen

14.000 Tabletten werden einem Menschen im Laufe seines Lebens durchschnittlich verschrieben. Dazu kommen die frei verkäuflichen Medikamente. Diese Zahlen nennt der Film "Pill Poppers", auf deutsch "Pillenschlucker". Die meisten Patienten nehmen ihre Tabletten in der Annahme, dass deren Wirkungen und Nebenwirkungen ausreichend bekannt sind. Doch dies ist laut der vom BBC produzierten Dokumentation "Pill Poppers" ein fataler Irrtum: Umfassende Informationen über ein Medikament erhalten die Pharmakonzerne erst, nachdem es auf dem Markt ist.

Als Teil eines riesigen Forschungsexperiments sehen die Filmemacher von "Pill Poppers" die Menschen, die Tabletten einnehmen. Denn: Erst wenn es ein Medikament auf den Markt geschafft hat, werden die meisten Nebenwirkungen bekannt - teilweise tödliche. Weiter erklärt ein Wissenschaftler im Film, dass Medikamente entgegen landläufiger Meinung nicht gezielt entwickelt, sondern vielmehr durch Zufall entdeckt werden. Als Beispiel führt er das inzwischen weltweit verkaufte Potenzmittel Viagra heran. Dessen Wirkstoff Sildenafil war ursprünglich als Medikament gegen Bluthochdruck und Angina pectoris gedacht. Als männliche Patienten von unerwarteten Erektionen berichteten, horchte der Pharmakonzern auf und forschte mit Hochdruck an dieser Wirkung des Medikaments. Viagra ist also ein Zufallsprodukt. Doch kann oder soll man Stoffen, deren Wirkungen durch Zufall entdeckt werden, trauen?

Im Laufe der 59-minütigen Dokumentation wird diese Frage mehrmals aufgeworfen. Die Regisseure nehmen den Zuschauer mit auf eine Reise durch die Welt der Tabletten. Die ersten Szenen zeigen ein amerikanisches Laboratorium, in dem Wissenschaftler Tausende an Stoffen auf ihre Wirkung untersuchen. Auch dies nach dem Zufallsprinzip.

Weiter lernen die Zuschauer eine Palette an bekannten Medikamenten samt deren Wirkungen und Nebenwirkungen kennen. Dazu gehört beispielsweise Ritalin, das gegen Hyperaktivität verschrieben wird. Bereits hier zeigen sich die zwei Gesichter der Tablettenanwendung: Ein Junge profitiert von Ritalin, er kann sich besser konzentrieren und hat gelernt, sich in eine Gemeinschaft einzufügen. Ein junger Student wiederum nutzt das Medikament, um seine Aufmerksamkeit während stressiger Lern- und Klausurzeiten zu steigern. Der erste Schritt zum Tablettenmissbrauch.

Ebenfalls über Missbrauch und Abhängigkeit informiert der Film anhand des Falles einer von Codein abhängigen Patientin. Sie kann sich ein Leben ohne Tabletten nicht mehr vorstellen, obwohl die Medikamente, die sie einst gegen chronische Schmerzen eingenommen hat, nun selbst Schmerzen hervorrufen. Ein Teufelskreis.

Immer wieder lenkt der Regisseur die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer auf einen Punkt, den unsere Gesellschaft gerne ausblendet: Kein Medikament ist frei von Nebenwirkungen. "Jede Medizin greift grundlegend in die biologischen Prozesse des Körpers ein. Dies kann nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen funktionieren", erklärt ein Mediziner im Film.

Wie verhält sich die Pharmaindustrie? Hierzu hat „Pill Poppers“ eine klare Meinung: Pharmafirmen betreiben Panik-Mache und haben eine ganze Marketing-Maschinerie entwickelt, um Krankheiten sogar zu erfinden, da der Medikamenten-Markt inzwischen gesättigt ist. Beispielsweise erhalten alleine in England sechs Millionen Erwachsene so genannte "Statine", die den Cholesteringehalt des Blutes künstlich senken. Diese Menschen sind laut "Pill Poppers" gesund, sie beugen durch die Statin-Einnahme lediglich einer möglichen Erkrankung vor. Denn erhöhte Cholesterinwerte können in Zusammenhang mit anderen Faktoren zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen.

Doch nicht nur Medikamentenmissbrauch und Nebenwirkungen führt der Film als negative Seite der "Pillen-Einnahme" an. Ein Mediziner schildert, dass immer mehr Keime durch den häufigen Gebrauch von Antibiotika gegen immer mehr Mittel resistent sind und dass diese Entwicklung weiter geht. Damit verlieren die Antibiotika ihre Schlagkraft - eine sehr gefährliche Entwicklung.

Der Film "Pill Poppers" ist eine gut recherchierte Dokumentation, die die unterschiedlichen Seiten des Umgangs mit Medikamenten beleuchtet. Durch seine unterschiedlichen Szenen-Einstellungen und Wechsel der Perspektive ist der Film abwechslungsreich und kurzweilig. Die Filmemacher rücken die kritischen Seiten der Tabletten-Einnahme in den Vordergrund, weniger häufig berichten sie von positiven Seiten. Der Film ist im Internet unter anderem bei Youtube unter dem Stichwort „Pill Poppers“ zu sehen.

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